Agentur Guerilleros

Vom Sticker an der öffentlichen Toilettentür bis zur Rauchzeichenbotschaft eines extra gecharterten Flugzeugs: Die Palette ungewöhnlicher Werbemaßnahmen, die man Guerillamarketing nennt, ist so groß wie bunt. Gemeinsam ist ihnen die ungeteilte Aufmerksamkeit ihrer Zielgruppe – weil die Message gar so unerwartet daherkommt.

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Wer im Frühjahr über Augsburgs Rathausplatz und durch die Maximilianstraße spazierte, stieß unversehens auf überdimensionale Holzkisten. »Zarensilber« war in großen Lettern drauf zu lesen, und jeder halbwegs informierte Bürger wusste gleich: ach ja, die Ausstellung im Maxmuseum. Direkter und eindringlicher als jedes Plakat wiesen die aus grobem Holz gezimmerten Kisten darauf hin: Die prunkvollen Exponate aus Moskau, einst gefertigt von Augsburger Gold- und Silberschmieden als diplomatische Gastgeschenke für russische Zaren, sind jetzt in Augsburg angekommen und für kurze Zeit zu bewundern. Eine überraschende Form von Werbung, die unter den Begriff des »Guerillamarketing« fällt und von der Augsburger Design-Agentur Liquid umgesetzt wurde. Diplom-Designer Ilja Sallacz ist Mitinhaber der Liquid | Agentur für Gestaltung. Mit ihm sprachen wir über die Möglichkeiten und Grenzen ungewöhnlicher Werbeformen.

Tatendrang: Herr Sallacz, wie unterscheidet sich Guerilla Advertising bzw. -marketing von herkömmlicher Werbung?
Ilja Sallacz: Guerillamarketing wird häufig zunächst gar nicht als Werbung erkannt, da es den Rahmen der üblichen Präsentationsmedien verlässt. Diese Art von Werbung überrascht an Stellen, an denen man nicht mit Werbung rechnet und fällt genau dadurch auf. Meist ist auch die Sprache der Guerillawerbung eine ganz andere als die in der herkömmlichen Werbung. Sie greift die Sprache des Umfeldes auf oder geht gänzlich neue Wege.
Gibt es weitere Vorteile?
Mit Guerillamarketing kann man Zielgruppen erreichen, an die man mit anderen Werbeformen gar nicht herankommt – etwa weil sie keine Zeitungen lesen oder jeglicher Art von klassischer Werbung generell ablehnend gegenüberstehen. Mit unkonventionellen Mitteln aber kann man selbst kritische Menschen überraschen, sie zum Staunen, zum Lachen oder auch zum Nachdenken bringen. Spontan fällt mir da die Aktion der Automarke Mini ein, die mir in München aufgefallen ist: Echte Fahrzeuge kleben da an Häuserwänden.
Seit wann beschäftigt sich Ihre Agentur Liquid mit solchen Werbeformen?
Eigentlich von Anfang an. Wir finden es sehr spannend und es macht uns große Freude, unkonventionelle Ideen zu entwickeln. Das ist letztlich das, was uns von vielen Marktbegleitern abhebt. Unsere Ideen münden – wenn der Kunde einverstanden ist – hin und wieder in Maßnahmen, die man dann unter dem Begriff Guerillamarketing zusammenfassen kann. Wie zum Beispiel eine Kampagne für ein Literaturprojekt der Stadt Augsburg.
Wie sah das aus?
Zum Thema »Max Frisch« haben wir Zettel mit abreißbarer Telefonnummer entwickelt, die auf das Programm des Literaturfestivals hinwiesen – ähnlich wie »Suche Wohnung« oder »Katze vermisst«. Bedruckt waren die Zettel mit Headlines, die sich auf Romantitel von Frisch bezogen. Begleitend waren Kleinanzeigen in Tageszeitungsrubriken wie Partnersuche, Stellenanzeigen, Immobiliengesuche geplant, was der Kunde dann
allerdings nicht umsetzte.
Muss man beim Kunden viel Überzeugungsarbeit leisten?
Nein. Die Kunstsammlungen Augsburg etwa waren sofort begeistert von unserer Idee mit den großen Holzkisten. Auffälligere Objekte im öffentlichen Raum hätte man kaum platzieren können. Diese Kisten sorgten
sofort für wesentlich mehr Gesprächsstoff als jedes Plakat. Besucher von auswärts hatten natürlich auch die Augsburger Puppenkiste im Kopf. Die große aufgesprayte Typografie hat dann aber klar den Link zum Museum gelegt.
Macht Guerillamarketing immer Sinn und würden Sie es jedem Ihrer Kunden empfehlen?
Ich denke, es lässt sich für viele Kunden und deren Marketingziele einsetzen. Aber ich muss immer sehen: Wie kann ich die Zielgruppe am besten erreichen? Guerilla Advertising oder Guerillamarketing haben immer auch die Note des Unkonventionellen, des Rebellischen oder auch des Witzigen. Damit wollen sich manche Unternehmen nicht identifizieren. Sehr hochwertige Produkte sollten in einem entsprechend exklusiven Umfeld platziert werden, da ist Guerillamarketing nicht immer das Mittel der Wahl. Guerillamarketing ist eine Möglichkeit im Marketing-Mix. Es kann und darf aber nicht die einzige sein – sonst gibt’s nur Verwirrung. Die Zielgruppe muss immer die Möglichkeit haben, zum Absender zu finden. Dies erreicht man durch begleitende Marketingmaßnahmen, die den eher üblichen Weg nehmen.

TATENDRANG-INFO

Warum heißt es ausgerechnet »Guerillamarketing«?
Guerilla ist ein spanischer Begriff und bedeutet wörtlich übersetzt »kleiner Krieg«. Man bezeichnet damit den Kampf irregulärer Verbände gegen eine Fremd- oder Gewaltherrschaft. Hervorstechendstes Merkmal: Guerilleros kämpfen verstreut in beweglichen Einheiten und bevorzugen den Überraschungsangriff. Den Begriff des Guerillamarketing hat der US-Marketing-Experte Jay C. Levinson Mitte der 1980er-Jahre geprägt. Die Grundidee: mit sehr kleinem Etat die effektivsten Absatzkanäle zu wählen. Guerillamarketing heute zielt auf die kreative Umsetzung einer Werbebotschaft ab – möglichst außerhalb der klassischen Werbekanäle – und ist meist interaktiv.

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Guerrillamarketing lebt von ungewöhnlichen Ideen.

  • Ambient Media
    Werbung im direkten Umfeld der Zielgruppe, z.B. Gratispostkarten in der Gastronomie
  • Ambush Marketing
    Trittbrettfahrer-Aktivitäten – wenn Großereignisse wie etwa die Olympischen Spiele für eigene Werbeaktivitäten ausgenutzt werden, ohne dass man selbst Sponsor ist.
  • Buzz und Viral Marketing
    (buzz: engl. Begeisterung, Gerücht) – wird im Englischen umgangssprachlich für virales Marketing gebraucht. Gemeint sind Nachrichten, die sich epidemisch mittels Mundpropaganda über soziale Netzwerke ausbreiten. Funktioniert besonders gut im Internet.
  • Low Budget Marketing
    Werbung mit kleinem Budget, die von kreativen Ideen und unkonventionellen Methoden lebt.